Grundpfeiler der Person:

In der existenzielle Erziehung Pädagogik werden die folgenden vier Grundpfeiler der Person genannt: Freiheit, Verantwortung, Selbstdistanzierung und Selbsttranszendenz.

Freiheit

Wir unterscheiden zwischen „Äusserer“ und „Innerer“ Freiheit.

Äussere Freiheit: Bewegungsspielraum des Individuums nach aussen, bezogen auf gesellschaftliche und persönliche Rahmenbedingungen

Innere Freiheit: Möglichkeit des Menschen, zu sich selbst Stellung zu nehmen und sich innerhalb der vorgegebenen Bedingungen zu verhalten. Für Frankl besteht die Freiheit gegenüber den Trieben, dem Erbe und der Umwelt.

Die menschliche Freiheit kann durch die folgenden Bedingungen eingeschränkt werden:

Äussere Bedingungen (Unterdrückende Staatsform, wenig Raum für Eigenes in der Familie, Krankheiten, ...)

Innere Bedingungen (Eigene Potenzialität, Wertklarheit, Selbstgestaltungskraft, mangelnder Glaube an sich selbst, Ängste, Sucht, …)

Freiheit bedeutet in diesem Sinn, dass gegebene Situationen den Menschen nur bedingen, aber nicht bestimmen können. Der Mensch ist nicht frei von Bedingtheiten, sondern frei, sich gegenüber Bedingtheiten so oder so zu verhalten. Der Mensch ist also nicht frei von etwas, sondern gegenüber etwas.

 

Verantwortung

In der existenziellen Erziehung bedeutet Verantwortung, eine persönliche Antwort auf eine Frage zu geben und dafür einzustehen, für sein Wollen und Handeln und dessen Folgen geradezustehen. Im existenzanalytischen Sinn kann Verantwortung nur für sich selbst übernommen werden, aber nicht für jemanden, der selbst dazu fähig wäre.

Echte Verantwortung bedingt die Freiheit der Entscheidung. Nur wenn ich mich (innerhalb der inneren und äusseren Bedingtheiten) für etwas entscheiden kann, wenn ich als Person angefragt werde, kann ich Ver-Antwortung übernehmen.

 

Selbstdistanzierung

Selbstdistanzierung meint die Fähigkeit des Menschen, sich von sich selbst zu lösen, aus sich selbst herauszutreten. Durch die Selbstdistanzierung erfährt sich der Mensch als jemand, der sich selbst nicht ausgeliefert ist. Durch die Selbstdistanzierung wird dem Menschen bewusst, dass er nicht festgelegt ist, sondern dass ihm das eigene Leben zur Verfügung gestellt ist. 

Selbstdistanzierung lässt sich bewusst gestalten, indem der Mensch in konkreten Situationen innerlich „einen Schritt zurücktritt“, zeitlich und räumlich eine kleine Distanz schafft und „von aussen“ die Situation und das Handeln der Beteiligten betrachtet. Wie werde ich in einigen Minuten/Stunden/Tagen auf diese Situation zurückschauen? Was wäre mir dann wichtig, dass ich getan oder unterlassen hätte?

Wege zur Selbstdistanzierung sind zum Beispiel das innere Zwiegespräch, das bewusste Reflektieren, das Lachen und der Humor.

 

Selbsttranszendenz

Die Fähigkeit eines Menschen, aus sich selbst auszutreten und sich auf die Welt einzulassen und Beziehungen zu Mensch, Natur und Umwelt einzugehen. Aus sich selbst kann er sich nicht entwickeln, je mehr er sich selbst übersieht und vergisst, desto mehr kommt er sich näher. Selbsttranszendenz setzt voraus, dass der Mensch auf etwas ausgerichtet ist, das ihn anspricht, einen Wert, den er verwirklichen will.

Gleichzeitig wird in der Existenziellen Erziehung zwischen „Hingabe“ und „Hergabe“ unterschieden. Bei der Hergabe verliert der Mensch sich selbst als Person. Er wird funktionalisiert, instrumentiert und fremd bestimmt. Die Hingabe an jemanden andern oder eine Sache belässt den Bezug zur eigenen Person, sie bleibt präsent und spürbar. Sie ist selbst von der Sache angetan und bleibt lebendig.

 

Begegnung

„Begegnung heisst zunächst, Respekt vor der Personalität des andern zu haben“ (Waibel). Begegnung wird also als Geschehen zwischen zwei Personen verstanden, welche sich ganz auf das Gegenüber einlassen und bereit sind, vorurteilslos den andern zu erfassen. Dies bedingt eine Haltung des Nicht-Wissens: Ich weiss nicht schon im Voraus, wer der andere ist und was er will. Ich akzeptiere ihn, wie er ist, resp. wie er sein könnte, in seiner Potenzialität. Eine solche personale Begegnung schaut also hinter die Rolle, das aktuelle Verhalten, die Form des Auftretens. Sie fokussiert sich auf die Würde und den Wert des Gegenübers. Eine solche Begegnung verändert alle Beteiligten und stärkt sie in ihrer Existenz.

 

Phänomenologisches Verstehen

Um in einer personalen Begegnung einem Menschen einigermassen gerecht zu werden, eignet sich die Methode der Phänomenologie („Phänomen“ – das was sich zeigt). Dies bedeutet, dass ich ohne vorgefasste Meinung und ohne Vorurteile auf einen Menschen zugehe. Ich sehe, was ich sehe, ohne zu beurteilen und zu werten. „Mit der phänomenologischen Betrachtung bleibt der Mensch frei, keiner bemächtigt sich seiner.“ (Waibel)

 

Selbstgestaltung

„Du kannst dich selbst gestalten, indem du dich auf das einlässt, was für dich wesentlich ist.“ (Mihaly Csikszentmihalyi)

Was vom bekannten Glücksforscher hier im Zusammenhang mit der Erfahrung von „Flow“ gesagt wird, macht deutlich, dass ein Leben, welches sich auf das für die Person Wesentliche ausrichtet, die Existenz stärkt. Wenn ein Mensch Antwort gibt auf die Anfragen des Lebens, indem er sich an seinen personalen Werten orientiert und Entscheidungen trifft, nimmt sein Selbst Gestalt an. Die Selbstgestaltung geschieht also durch die Ausrichtung auf Werte und ist insofern ein „Nebenprodukt“ und nicht das Ziel.