Praktische Beispiele der Existenziellen Pädagogik im Unterricht:

Ich bin ICH – und das ist gut so!

Eine Unterrichtsskizze für Zwölfjährige zur dritten und vierten Grundmotivation von Andreas & Doris Hausheer

Als Einstieg wählen wir das Bilderbuch He Duda von Jon Blake und Axel Scheffler. Der etwas unbedarfte Hase He Duda weiß nicht, was er ist und wozu seine großen Füße gut sein sollen. Wir weisen darauf hin, dass das Büchlein in der Regel jüngeren Kindern erzählt wird, dass es aber auch von Erwachsenen gerne gelesen wird und dass es deshalb auch für Jugendliche passen könnte. Probieren wir’s aus …
Die Klasse (16 Kids) lässt sich auf die einfache Erzählung und die witzigen Bilder ein. Vorlesen und Zuhören machen gleichermaßen Spaß.
             
Im Anschluss daran denken wir über folgende Fragen nach: Wieso wissen wir eigentlich, wer wir sind? – Wie hast du während der letzten zwölf Jahre herausgefunden, wer und wie du bist? – Wer oder was hat dir geholfen, das herauszufinden? Kommt dir ein Beispiel in den Sinn? Und noch eines?
Hast du auch schon erlebt, dass jemand ein falsches Bild über dich hat? – Wie geht es dir damit? – Wie gehst du damit um?
Fazit: Ich finde heraus, wer ich bin, weil andere es mir sagen und weil sie auf mich reagieren. Ich finde es aber auch heraus, wenn ich lebe. Dann merke ich, was ich mag und was weniger, was mir Angst macht, was mich glücklich macht, was ich möchte und was nicht, was mehr zu mir gehört und was weniger. Es stört mich mehr, wenn jemand ein falsches Bild über mich hat bei Dingen, die mir sehr wichtig sind. Und es stört mich mehr bei Menschen, die mir wichtig sind.             
Die Nachdenkrunde schließen wir mit dem Zitat von Buber ab: «Der Mensch wird am DU zum ICH.»   

Ich bin ICH – was ist mir an mir besonders lieb und wichtig?
Die Kids suchen sich ein ruhiges Plätzchen im Schulzimmer / im Schulhaus / rund ums Schulhaus und beantworten die Frage auf Streifen. Wir ergänzen mit diesen Streifen unsere WIR-Wand im Schulzimmer. Wer mag, befestigt seinen Streifen.             
 
Wir stellen den Film Billy Elliot vor und schauen ihn gemeinsam an. Billy Elliot ist die bewegende Geschichte des elfjährigen Bergmannssohns Billy im Norden Englands, dessen Leben eine unerwartete Wendung nimmt, als er auf seinem Weg zum Boxunterricht zufällig in Mrs. Wilkinsons Ballett-stunde gerät. Nachdem seine Begeisterung fürs Ballett einmal geweckt ist, beweist Billy ein seltenes Naturtalent und greift nach einem Traum, der das Leben all jener verändert, denen er begegnet.
Billy gestaltet sein Leben, indem er umsetzt, was ihm ganz und gar wichtig ist. Er tut dies leidenschaftlich und mit einer beeindruckenden Widerstandskraft. Billy inspiriert zur Selbstgestaltung.

Die Klasse möchte bei Billy Elliot verweilen. Wir tauschen aus, bis uns die Worte ausgehen. Und dann «verkunsten» wir den Film: Die Gruppentische sind mit festem Papier überzogen. Die Wachsstifte liegen bereit. Kopf und Mund haben ihren Part geleistet. Jetzt sind die Hände dran. Die Kids halten sich nochmals eine Situation aus dem Film vor Augen, sie versetzen sich in die Emotion, in die Energie … und lassen die Hände malen … bis alles Papier ausgemalt ist. Zwischendurch geht man an einen anderen Tisch und malt dort nach Belieben weiter. Einfach die Hände tun lassen …
So entstehen in unserer Klasse acht Billy-Elliot-Bilder.
In der nächsten Zeichenstunde schneiden wir – ebenfalls aus festem Papier – Bilderrahmen in verschiedenen Größen aus. Ich lasse einen Rahmen über mein Billy-Elliot-Bild gleiten und suche nach einem Ausschnitt, der mir besonders gefällt. Diesen Ausschnitt schneide ich mit dem Japanmesser und mithilfe einer festen Schablone (Spiegelkachel, Karton) aus. Wir suchen nach weiteren Ausschnitten … Die Klasse gerät in einen regelrechten Flow. «Schau mal …» - «Wow – das sieht ja super aus!» - «Ja, wie Kunst …» - «Da gefallen mir die Farben mega, ist mir vorher gar nicht aufgefallen.» - «Machen wir das wieder einmal?» …
Die sichtbare Ausbeute dieser Einheit zum Thema Ich bin ICH besteht aus vielen, vielen bunten – teils wilden – Bildern, die nun unser Schulzimmer zieren und aus denen schiere Lebensfreude spricht … und vielleicht der Mut, das eigene Leben zu gestalten.